Lifestyle: Epilog 13. November 2015: Nur ein Blick…

Er war dort. An diesem Abend… Eigentlich ist Paris weit weg. Mit dem TGW braucht man etwa anderthalb Stunden. Plötzlich kommen die Ereignisse hierher. In mein Wohnzimmer. Sehe direkt in die lebensgroßen Pupillen des Mannes, der interviewt wird, nur durch die TV-Scheibe getrennt. Dieser Blick trifft mich wie ein Blitzschlag. Er fährt durch meinen Körper. Ich merke, wie meine Magengrube sich zusammenzieht…

Er ist einer derer, die zurückgekehrt und nicht dort liegengeblieben sind wie die anderen… Aber seine Augen haben ihren natürlichen Glanz verloren. Diese Wachheit und gewisse Neugierde, die man erwarten würde, wenn die Kameras auf einen gerichtet sind. In diesen Augen ist nichts davon. Irgendetwas ist dort geblieben. In diesem Saal. Dafür steckt das Entsetzen und dieses schale Gefühl der Unsäglichkeit noch tief in ihm, wie der Stachel einer Biene, den man nicht mehr ziehen kann und abwarten muß, bis der Eiter ihn schließlich nach außen treibt. Dieser Ausdruck hat sich in seinen Augen festgekrallt. Wie seine Finger auf dem Boden, als er auf dem Boden lag. Er hatte sie so fest nach unten gedrückt, bis es weh tat. Er wollte den Schmerz spüren. Sich spüren. Solange lebte er. Auch wenn die anderen dachten, er wäre tot. Die noch denken konnten.

Die Schüsse kamen ihm für den Bruchteil einer Sekunde unwirklich vor. Bis die Realität wie Wasser in ein sinkendes Schiff in sein Bewußtsein drang. Scheiße. Er hörte die gellen Schreie der Getroffenen – oder auch Nicht-Getroffenen. Wer weiß das so genau? Seid ruhig, dachte er. Seid einfach ruhig. Er wollte seine Augen nur für einen winzigen Moment öffnen. Noch einmal die Welt sehen… Er war in dem hinteren Teil des Raumes. Vor ihm Bänke. Und SIE weit vorne. Dann ging es plötzlich ganz schnell. Er sah aus den Augenwinkeln, dass der, der eben noch dicht neben ihm auf dem Boden gekauert war, leise aufstand, dass sogar er selbst kaum ein Geräusch wahrnehmen konnte und gebückt zur Tür eilte. Wie eine Raubkatze. Geschmeidig und schnell. Er weiß noch, dass diese Bewegungen ihn, so absurd ihm der Gedanke in diesem Moment auch vorkam,  fasziniert hatten. Er überlegte nur einen winzigen Moment, dann war er die Raubkatze! Er gab sich ganz diesen Bewegungen hin. Da war schon die offene Tür ! Hinaus, kein Blick zurück, über die Treppen irgendwie zum Dach. Er weiß diesen Weg jetzt nicht mehr. Seltsam. Der vorige Moment ist so klar in seinem Bewußtsein, als würde er kein noch so winziges Detail jemals vergessen können. Eingebrannt in alle Ewigkeit. Doch dann war dem Leittier gefolgt hinaus aus dem Massaker, in die goldene Freiheit. Es hätte sonstwohin laufen können, er wäre ihm willenlos gefolgt…

Und dann waren sie auf dem freien Dach, als kurzzeitig ein Moment der Panik zurückgekommen war… Was , wenn auch jemand von IHNEN dort war? Sie direkt in die nächste Waffe laufen würden? Doch nichts desgleichen geschah … Sie rannten über das Dach, bis ans Ende, wo das Schicksal oder Universum oder was immer tatsächlich die Möglichkeit geschaffen hatte, auf einen Balkon zu gelangen! Der Sprung drei Meter in die Tiefe schien lächerlich gegenüber dem, was hinter ihnen lag. Der vor ihm, das Leittier, rief ihm noch zu: „Tief in die Hocke beim Aufkommen“. Er schafft diesen Sprung ohne Probleme. Nur seinen Hände taten durch de Erschütterung weh. Er hebt sie jetzt in die Kamera. Die Fingerknöchel sind teilweise aufgeschrammt und blutunterlaufen. Als hätten nur sie das Übel abgehalten… Seine Hände. Dort auf dem Balkon hatte er in diesem Moment eine tiefe Dankbarkeit für seine Hände verspürt. „Nur nicht aufblicken!“  Schon  dort kehrte dieser Gedanke zurück, wie er später noch viele hunderte Male zurückkehren würde. Menschen öffneten das Fenster, ließen sie in die Wohnung. Als man ihn danach fragte, sagte er, es ginge ihm gut…

Siehe auch: Attentats du 13 novembre 2015 ile-de-france Paris

4 Kommentare zu „Lifestyle: Epilog 13. November 2015: Nur ein Blick…

  1. Wieso können Menschen einandern nicht LEBEN UND LEBEN LASSEN. Man könnte meinen durch die Evolution hat sich da was getan, aber falsch. Früher sind wenigstens die Oberhäupter im Krieg an 1. Stelle geritten oder gelaufen und haben auch ihr Leben riskiert. Jetzt werden nur irgendwelche Bauern und Unschuldige „geopfert“. Eigentlich ist das ein Rückschritt in der Evolution. Schade, dass es so ist.
    Eine Schweigeminute für die Opfer. Odie

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