Kurzgeschichte: Der Englischlehrer

Hallo Ihr Lieben,

Letztens habe ich wieder einmal von meinem alten Englisch- Lehrer gehört, weil an der Koronarsportgruppe teilnimmt, die von einem guten Freund betreut wird.. „Ein ganz feiner Mann! Leider hatte er schon mehrere Herzinfarkte!“ Letzeres kann ich mir ehrlich gesagt gut vorstellen. Es ist ja nun mal so, dass Stress über Adrenalinausstöße mit wiederkehrend erhöhten Blutdruck das Auftreten von Herzinfarkten begünstigt. Vor allem auch dann, wenn er nicht adäquat über Bewegung abgebaut wird! Allerdings will ich euch jetzt nicht damit langweilen , dass es auch positiven Stress gibt… und euch auch nix über den Fluchtreflex der Urzeitmenschen erzählen…

Aber dass er ein „ganz feiner Mann“ sei? Doch als ich ein wenig darüber nachdachte, fiel mir eine kleine Begebenheit ein…

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Ich erinnere mich daran, wie mir morgens, vor der Englischstunde, sehr übel war, weil ich im übervollen Bus noch Vokabeln und Deklinationen für die anstehende Klassenarbeit gelernt hatte. Dies hätte ich zugegebenermaßen auch früher machen können, aber gestern Nachmittag war ich beim Reiten und danach  zu müde. Außerdem  war im Fernsehen „Raumschiff Enterprise“ gelaufen und für Captain Picard war schon immer meine heimliche Flamme.  So, jetzt wisst ihr wieder was von mir…  Bestimmt wieder überzogen, mögt ihr denken. Nein, diesmal ehrlich nicht! Sogar mein Sohn heißt Jean-Luc nach dem philosophisch gebildeten Raumschiffkapitän.

Jedenfalls hatte man bei den Englischarbeiten nix zu lachen. Weil, der Herr Karpfen – so haben wir ihn genannt, da er,  ob unserer „Leistungen“ immer wie ein Karpfen den Mund in einer Art Schnappatmung öffnete und schloss –  ein nicht ganz anspruchsloser Lehrer war. Dies sah man schon daran, dass der Notendurchschnitt bei Klassenarbeiten meist genau bei 4,4 lag. Ab 4,5 hätte die Arbeit nämlich wiederholt werden müssen. Er hatte so eine Art, das überaus lieblos gestaltete Englischbuch genau Wort für Wort in seinem Unterricht „abzuarbeiten“…. während wir unsere Aufmerksamkeit lieber auf so intelligenten Spielen, wie “ Wer den roten Stift zieht, muss vorne ein Herzchen an die Tafel malen!“ richteten. Ja lieber Karpfen, nicht dass du noch denkst, die gutaussehende blonde „Anne“ wäre damals verliebt in dich gewesen…

Er hatte es, zugegebenermaßen, schon ein wenig schwer mit uns. Leider hatte es die Natur,  was sein Äußeres betraf, nicht besonders gut mit ihm gemeint. Seine Schüler nutzten diese „Vorlage“ schamlos aus, was sein Selbstbewußtsein analog zu seiner Körpergröße in Miniaturformat schrumpfen ließ. Wenigstens verfügte er allem Anschein nach über eine ordentliche Menge Testosteron, wenn man davon ausgeht, dass ausgehende Haare und cholerische Anfälle ein Indiz dafür sind! Er konnte wunderbar mit seinen Plateauabsätzen aufstampfen,  dagegen  war Rumpelstilzchen ein Balettänzer! Allerdings war das die höchste Stufe auf der Cholerik-Skala und es bedurfte schon einiger Frechheiten, um sie zu erreichen…

Gegen die schütter werdenden Haare jedoch setzte er seine ganze Hoffnung in den Dorfcoiffeur, der sich redlich um die Herstellung einer Haarpracht mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln bemühte. Wir waren uns nicht sicher, ob nicht vielleicht die Haare von dem leider überfahrenen Perserkater von Oma Trude aus der Rilke-Straße für dieses Wunderwerk der Haar-Wiederherstellung hergehalten hatten… Aber das zu behaupten, wäre dem Kater gegenüber pietätlos gewesen.

Aber ich schweife ab… Nachdem es unumgänglich gewesen war, dass ich die Toilette noch vor der Stunde aufsuchte, schaffte ich es gerade noch so, mit dem Klingelton vor dem Lehrer natürlich als letzte auf den Platz zu huschen.

„Na , mußten wir noch eine rauchen? Wissen sie eigentlich, dass man das ihrer Haut ansieht – die wird dadurch höchst fahl!“  Na, danke auch. Ich und rauchen! Und wenn, dann höchstens dienstags im JUZ (Jugendzentrum)… „Mir ist schlecht!“ versuchte ich mich wimmernd zu rechtfertigen… „Jetzt ist es aber gut, setzen Sie sich endlich hin, damit wir anfangen können.“ Vorsicht war geboten, Anfänge der Schnappatmung setzten ein… Schon waren die Zettel ausgeteilt und ich hatte nicht die klitzekleinste Chance, mit noch irgendetwas auf den Unterarm zu schreiben, was eigentlich mein Plan B gewesen war!

Als dann der nach Kopierflüssigkeit stinkende, vor Urzeiten einmal von Hand geschriebenen Klausurbogen vor mir lag, der Namen eingetragen war und ich die Aufgaben kurz überflogen hatte, wurde mir bewußt, dass ich ein echtes Problem hatte… Keine einzige der insgesamt sieben Aufgaben, wußte ich auch nur ansatzweise …

So akribisch er sich an das Englischbuch in seinen Stunden hielt, so akribisch unabhängig davon waren seine Klausuren. Es kam uns auch inhaltlich so vor, als habe er seine eigenen Klausuren von vor 30 Jahren der Einfachheit halber oder aus nostalgischen Gefühlen, weil ja früher alles besser war, benutzt. Sowohl die englische Sprache als auch die Grammatik waren völlig antiquiert. Manchmal schienen sie aber auch  aus einer fernen Zukunft, weil inhaltlich völlig unverständlich, vom allseits beliebten Raumschiff Enterprise geklaut. Ich wurde den Verdacht nicht los, dass er sich für die Zusammenstellung seiner Klassenarbeiten immer zu dem in der nahen Moltkestrasse praktizierenden  Mr. Vision begab, der seinerzeit „Rückführungen und Zukunftsvisionen“ anbot, im 6er Pack billiger. Dies wusste ich, weil wie von Zauberhand seine Werbezettelchen von Zeit zu Zeit , von Schimpftiraden des Hausmeisters begleitet, in der Schule auftauchten.

Soweit, sogut. Hier hatten wir eindeutig die Raumschiff-Enterprise Version. Nur half mir diese Analyse auch nicht weiter. Leider war es so, dass sich meine  Englischkenntnisse auf das beliefen, was in meinen damaligen Lieblingsongs auftauchte … Words – bam bam bam – don´t come easy – h – to me… von F.R. David. Das zum Beispiel verstand ich ganz gut, vor allem auch, weil ich mich, zuminderst mit diesem ersten Satz, ganz gut identifizieren konnte – mir fielen die richtigen Wörter auch nie ein… oder erst zuhause, aber nie in der Englischstunde und schon gar nicht während den Klausuren…  So wie heute. Nein, mir fiel wirklich nichts ein. Gar nichts. Außerdem war es mir heute  schlecht. Ausgesprochen schlecht…

So ergoß sich der Rest von dem, was noch da war, auf den verhassten Zettel. Absolut E-K-E-L-I-G diese Haferflocken auf dem Wort „Crazy“ – Supi! Ich kannte immerhin ein Wort!

„Das kann nicht wahr sein!“, schnaubend und schnappend kam Karpfen an meinen Tisch. „Raus!“ brüllte er, hielt kurz inne… seine Gesichtsfarbe hatte die einer reifen Tomate erreicht! Ich wußte für einen Moment ehrlich nicht, ob er jetzt auf der Stelle unfallen würde oder nicht. So fiel mir nichts Besseres ein als: „Geht´s ihnen gut?“ zu fragen.   Oh! Wow! Bei dieser dunkelroten Gesichtsfarbe ging tatsächlich noch was – sie war jetzt purpurfarben! Er holte sein Einstecktüchlein heraus, dass immer in seiner Sakkotasche steckte, und wischte es über das Gesicht, als wollte er die rote Farbe abwischen  – aber halt – tatsächlich, er schwitzte auch noch! Während ich es schaffte, meine Gedanken immer mehr von meinem eigentlichen Problem wegzulenken, waren seine völlig bei der ekeligen Kotze –  und ob meines Kommentars glaubte er nun nicht gerade, dass das wirklich unbeabsichtigt passiert war. Obwohl es mir jetzt zugegebenermaßen plötzlich wieder besser ging. Kennt man ja – ist das Zeug erst draußen…

Aber die Englischarbeit weiter schreiben oder besser beginnen wollte ich natürlich auch nicht. Blitzschnell war ich wieder im „jetzt“. Es war nun höchste Zeit für meinen  Einsatz. „Oh, Herr Soundso (ich will ihn hier natürlich nicht preisgeben!), es tut mir soo leid!“ Aber mir ist furchtbar schlecht heute früh, ich habe gestern abend so lange gelernt und konnte vor lauter Aufregung wegen der Klausur nicht einschlafen! Kann ich bitte an die frische Luft?“ Augenaufschlag. Von unten. Bambiblick. Innerlich war ich gespannt, ob mein Talent ausgereicht hatte, ihn zu besänftigen… Yeah! Ich sah es an dem Rückgang der Gesichtsverfärbungen und der langsamen Entspannung der karpfenartik kontrahierten Mundwinkel.

„Meinetwegen, gehen sie ´raus“. Aber gehen sie direkt zum Hausmeister! Er soll die Putzfrau vorbeischicken und Sie können sich dort ein wenig auf die Liege legen, bis ihnen wieder besser ist.“

Tatsächlich  kam er eine halbe Stunde später mit einer Tasse Tee in der Hand zu mir und fragte: „How are you? Would you like some tea?“ Der Hausmeiser hatte mich auf seiner Krankenpritsche in eine warme Decke gehüllt. So war ich gerade damit beschäftigt, den fehlenden Schlaf aufzuholen und verspürte keine große Lust, jetzt aufzuwachen. Als er sah, dass ich „schlief“, stellte er den Tee leise ab und meinte so fürsorglich, dass Mutter Teresa ihre reine Freude gehabt hätte: „Lassen sie das arme Kind noch eine Stunde ausschlafen und rufen sie dann ihre Mutter an, damit sie sie abholt. Tja, ich war vorhin vielleicht etwas grob zu ihr…!“

Ja, im Innersten war er eigentlich ein ganz netter, okay, vielleicht sogar ein feiner Mensch – wenn er nicht gerade von uns ekeligen Schülern auf die Palme gebracht wurde…

Sorry dafür an dieser Stelle. Aber die Notengebung hätte wirklich nicht ganz so nicht sein müssen, lieber K… äh… Herr Soundso!

P.S.:  Natürlich sind alle Personen, und Handlungen einschließlich „ich“ frei erfunden – nie hätte ich zum Beispiel einen Spickzettel auf den Arm geschrieben! Really!

Außerdem wurde ich selbstverständlich NUR von den allernettesten, bestausehendsten Lehrern mit der besten Klausuraufgaben unterrichtet! Never ever! Hüstel… Gut, wer jetzt Englisch kann!

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