Hallo Ihr Lieben,
Meine Manchmal- oder Beinah-Freundin, ja, genau, die, die immer alles weiß oder zu wissen glaubt ( die meine Geschichten öfters lesen, kennen sie bereits) war vor kurzem in der Stadt. Was sie da in der Straßenbahn erlebt hat, will ich Euch natürlich nicht vorenthalten…
Das Surren der Straßenbahn nervte mich. Dann dieses Schütteln hin und her… Dunkel erinnerte ich mich an meine Studienzeit, die ich teilweise in Berlin verbracht hatte. Da war es jeden Morgen etwa vierzig Minuten bis zur Uni… Straßenbahn und U-Bahn. Ging mir immer schon – ja ich kann´s nicht anders nennen – auf den Zeiger. Dies war übrigens auch mit ein Grund, warum ich dort nicht blieb. Das kleine Städtchen, in dem ich weiter studierte, wäre für jeden anderen nach Berlin ein Kulturschock gewesen. Für mich, die in einem 300 Seelen (oder besser: Bauern-) Dörfchen aufgewachsen ist, das damals nicht einmal auf den normalen Landkarten verzeichnet war, war Homburg an der Saar eine mittelgroße Stadt mit einer Uni, kurzen Wegen, Natur drumrum, billigen Mieten – kurzum, alles, was ich damals brauchte! Aber ich schweife ab…
Der Mann auf dem Sitz gegenüber wußte vermutlich nicht einmal, wie man das Wort „Deo“ buchstabierte, geschweige denn, wie man es benutzte… Und ob seine Jeans in den letzten Wochen die Waschmaschine von innen gesehen hatten, war bei dieser undefinierbaren Farbe, die man mit etwas Fantasie höchstens noch als grau mit hellblauem Stich bezeichnen konnte, auch mehr als fraglich.
„Der freundliche Mann“ vielen Dank an meinen Sohn
Die korpulente Dame neben ihm schnaufte rhythmisch und war knallrot im Gesicht. Gut, es war ein wenig warm hier drinnen, aber sich gleich so anzustellen… Ein bißchen Diät, ein Arztbesuch – die richtigen Medikamente – aber darüber schien die Dame noch nicht nachgedacht zu haben. Zudem gibt es auch Typenberatungen – dieser Preßwurst-Look mit dem viel zu engen Mantel mußte ja nun wirklich nicht sein…
Jetzt schaute der Mann mich doch tatsächlich an! Unverschämt! Wie kann man die Leute gegenüber nur so offensichtlich mustern. Konsterniert schaute ich zur Seite. Kurz überlegte ich, ob ich ihn auf diese Unfreundlichkeit des Anstarrens aufmerksam machen sollte, aber ich bin ja ein toleranter Mensch… Da mein Körper sein Adrenalin nun wohl anderweitig abbauen mußte, fing mein Augenlid zu zucken an. Das tut es nur sehr selten und nur, wenn ich mich sehr gestresst fühle. Nächstes Mal, wenn ich Straßenbahn fahre, muß ich vorher Magnesium nehmen, fuhr es mir durch den Kopf, das soll ja angeblich gegen das Muskelzucken helfen…
Doch das Problem löste sich rasch, da in diesem Moment die Straßenbahn mit einem rüden Ruck zum Halten kam. Da ich mich gerade auf die Seite gedreht hatte, um den Geschehnissen besser folgen zu können, landete mein Kopf prompt an der Haltestange – aber immerhin war das Zucken weg. „Aua“ – fuhr es aus meinem Mund. Das blickte mich das Schnauf-Wunder gegenüber mütterlich-besorgt an und fragte, ob sie helfen könne. „Nein danke,“ erwiderte ich etwas irritiert. Also, einen gewissen Anstand konnte man der Dame ehrlich nicht absprechen -aber trotzdem – so zu schnaufen…Naja – langsam fing ich an, mich selbst ein kleines bißchen ungerecht zu finden…
Ich wollte schon fragen, ob ich ihr vielleicht helfen konnte, aber mein schlechtes Gewissen kam sofort zum Stillstand, als eine Mami mit ohrenbetäubend schreiendem Säugling versuchte, ihren sperrigen Kinderwagen in die Straßenbahn zu buxieren! Das war jetzt wieder so – ich kann´s leider nicht anders nennen – nervig, das würden Tierschützer keinem Hund zumuten…
Einen kurzen Moment hoffte ich, dass sie es nicht schaffte, hereinzukommen, als eben jener Grau-Jeans Mann aufstand und ihr zu Hilfe eilte. Mei, hätte er es gelassen…. Mit einem Seufzer ließ sich die Mutti samt schreiendem Anhang und Kinderwagen-Monster neben sich direkt auf den Platz der Grauhose fallen, als die S-Bahn sich wieder in Gang setzte. Aha, das läßt er sich bestimmt nicht gefallen, der Herr Grauhose. Ich war gespannt, wie er sich seinen Platz zurückerobern würde, aber er lächelte bloß und blieb stehen. Er lächelte tatsächlich – wo gibt´s denn sowas! Dann sagte er noch ganz freundlich zur Nerv-Mami:“ Sie haben es auch nicht gerade leicht, ruhen Sie sich mal ein bißchen aus… “ und das in schönstem Hochdeutsch! Das war jetzt aber mal…nett! Ja, tatsächlich, obwohl er solche Hosen anhatte – Sachen gibt´s… nee, oder?
Über meinen Beobachtungen dieser Leute hatte ich nicht bemerkt, dass noch ein anderer Herr zugestiegen war! „Die Fahrkarten bitte“ schallte es durch das Abteil und ein eigentlich ganz unauffällig aussehender Mann machte sich daran, die Fahrkarten zu kontrollieren. Müssen die nicht Uniform tragen? Seltsamerweise hatten alle Leute, inklusive Grauhose, Pellwurst und Kreisch-Kind Mutti (wobei das Kreischen – Gott seis gedankt- nach kurzer Zeit zum Stillstand gekommen war…) ihre Fahrkarten relativ schnell zur Hand …
Dann kam der Kontrolleur zu mir. Selbstbewußt hielt ich ihm meine Fahrkarte hin. Ja, Schwarzfahrer sind eine üble Sache. Es ist schon richtig, wenn da kontrolliert wird… Fast war ich ja ein wenig enttäuscht gewesen, dass er in diesem Abteil nicht fündig geworden war… Jetzt sah er mich so komisch an – richtig aufdringlich fand ich – diese Kontrolleure sind auch nicht mehr das, was sie mal waren… “ Ja, ich kann mir vorstellen, dass Sie Grace Kelly mögen, ich brauche aber leider ihre Fahrkarte“ – Was ging diesem unverschämten Kerl mein Privatleben an? Er gab mir die Fahrkarte zurück. Ein kurzer Blick darauf zeigte mir, dass es sich um die Kinokarte des Films „Grace“ handelte.. Aber wo war die Fahrkarte? Fieberhaft suchte ich das Ticket… Mist, um besser zu sagen SCH…E!!! Knallrot saß ich nun da – ja , glotzt nur alle… da hörte ich die Stimme der Mutti: „Ja, sorry, ich hab´ die Fahrkarte von meiner Freundin!“ – und gab dem Kontrolleur tatsächlich noch eine Fahrkarte! Jetzt war ich aber völlig perplex, mein eingefahrenes Weltbild drehte sich im Kreise… Ich schluckte und sagte matt: „Danke… “
Ja, soweit die Geschichte über Toleranz und Vorurteile meiner Freundin, die nach diesem Ereignis irgendwie ein wenig netter durch die Welt läuft…
Übrigens, die Mutter in der Straßenbahn hatte zwei Karten, da sie nicht genau gewußt hatte, ob das Baby etwas kostet. Sie war auch nicht oft in der Stadt…